Frühe Werke von Dietmar Brixy 1993/94
Brixys frühe Bildwelt lotet Tiefen und Ursprünge aus. Inhaltlich symbolbefrachtet und bildkünstlerisch. Der Mensch steht im Mittelpunkt des malerischen Interesses. Essentiell werden: die Urmaterie „Wasser“, zufällige Begegnungen, verschlungene und beschrittene Lebenswege. Das Eindringen in und Auftauchen aus tiefen Seelenwelten und ein variables Dickicht von Formstrukturen beherrscht die Leinwände. Die Kraft dieser Bildsprache speist sich aus der Konzentration aufs Wesentliche.
Auftauchen, 1993, Öl auf Leinen, 180 x 120 cm
DIETMAR BRIXY - Bilder aus dem „Malaysia-Zyklus“
von Christel Heybrock (aus dem gleichnamigen Katalog)
Es scheint ein fundamentales menschliches Bedürfnis zu sein, in den Dingen der Umgebung Spiegel zu sehen, in denen man etwas von sich selbst wiedererkennen kann. In archaischen Kulturen geht es so weit, das der Mensch tributpflichtig wird: der Sonne, den Tiergöttern, einem heiligen Berg oder Baum. Darin kommt die Erkenntnis zum Ausdruck, dass der Mensch von der Erde abhängig ist und von ihren Bedingungen gestaltet wird, nicht umgekehrt.
Beim Betrachten der Bilder aus dem ,,Malaysia- Zyklus“ von Dietmar Brixy wird einem unversehens bewusst, was die abendländische Zivilisation notorisch ignoriert, nämlich jene bis in die Tiefe hinabreichenden Entsprechungen zwischen Mensch und Natur. Es gibt zwar den Begriff der „Seelenlandschaft", aber ist nicht sein Gebrauch schon etwas anrüchig und bezeichnet er nicht die Bilder von allzu romantischen, weltflüchtigen Malern, die in ihrer Versponnenheit immer nur nach innen blicken und vor Bewahrungsproben in der Wirklichkeit flüchten?
Die Bilder Dietmar Brixys beweisen stets von neuem, wie töricht dieser Verdacht ist und dass die eigentlichen Bewährungsproben eben in der inneren Arbeit liegen — in der Verarbeitung dessen, was einem begegnet ist. Glück und Enttäuschungen, Einsamkeit und Erfahrungen von Leben und Fülle wollen gleichermaßen aufgenommen und als Anstoß zum Wachstum verstanden werden, und so ließen sich bisher schon Schlüsselmotive für solche Vorgänge bei Brixy finden: etwa die Leiter als Bild der Progression, aber auch der Verbindung zwischen zwei Seiten, oder das Schneckenhaus als Zeichen für einen Ort des Schutzes und der Abkapselung, der neues Wachstum von innen heraus möglich machte.
Nun also der „Malaysia-Zyklus“, entstanden aus der Erfahrung einer Landschaft, deren Fülle und Dichte überwältigend sind. Der südostasiatische Dschungel wurde in seiner Vielschichtigkeit und Undurchschaubarkeit tatsachlich zur Landschaft der Seele, wobei Brixy keineswegs nur seine eigene meinte, sondern die persönliche Betroffenheit durchaus in überpersönlicher, generell menschlicher Perspektive sehen konnte.
Geheimnisvoll, 1993, Öl auf Nessel, 50 x 40 cm
Die Bilder sind nicht leicht, vor allem nicht rasch zu rezipieren.
Die juwelenhaft leuchtende Oberfläche mit ihren mitunter fast schmerzend intensiven Farben will durchdrungen werden, um erkennbar zu sein als Ergebnis eines Wachstumsvorgangs von der tiefsten bis zur obersten Farbschicht: Der Dschungel und seine Vegetationsgesetze vom sumpfigen Boden bis zu Palmzweigen und leuchtenden Blüten fanden in Brixys Malweise übereinander gelegter Farbschichten eine überraschend angemessene Entsprechung.
Das Eindringen in den „Malaysia-Zyklus" bedeutet Vordringen in einen äußeren und inneren Urwald. Was auf den ersten Blick gegeben scheint, verändert sich während des Sehens, als könne man Schritte machen mit den Augen. Fast alle Bilder des Zyklus scheinen zunächst verschlossen und dominiert oft von der Vorherrschaft einer jeweils einzigen Farbe, die zuoberst liegt. Das sind etwa Blau beim „Schwimmer“, Gelbgrün beim „Dschungelrausch" oder ein aus Rot und Weiß gemischter Auberginen-Ton bei dem Bild „Kauern“. Wer sich mit dem Erkennen dieser Farben und dem Genuß daran begnügt, sieht nichts.
Erst bei längerem Verweilen, begünstigt vielleicht von einer Veränderung des Tageslichts, arbeitet das Auge Strukturen und tiefer liegende Schichten heraus, die allmählich so intensiv hervortreten, dass sie die dominante Oberflächenfarbe fast zum Verschwinden bringen. Der Eindruck ist dann umgekehrt wie am Anfang: Die Oberfläche scheint in den Hintergrund gedrängt, und die Tiefe liegt vorn; die Formstrukturen erweisen sich als kraftvoll und durchdringend, nachdem sie zunächst kaum in Erscheinung traten. Was kann analog dazu der Blick erfassen, wenn man sich, wie Brixy es tat, mit einem Boot in den Urwald begibt? Der Blick erfasst Wolken von Grün und später erst, in der Nähe des mühsamen Fortschreitens, Stämme, Luftwurzeln, Lianen, Blattrippen, mit anderen Worten die Strukturen und den dunklen Grund von gewachsenen Formen.
Dschungelwesen, 1993, Öl auf Nessel, 60 x 80 cm
Brixys Maltechnik ist oft beschrieben worden.
Auf der Grundierung der Leinwand liegt eine meist sehr leuchtende Farbe, beispielsweise Rot. Bis auf Reste wird diese Schicht von anderen Farben bedeckt, und oft liegt eine Komplementärfarbe ganz oben. Je nach dem rhythmischen Eigenbedarf des Bildes kratzt Brixy nun untere Schichten wieder frei und zieht mit einem Kamm feine, wie gefiedert wirkende Parallelen in die Oberfläche, die dadurch etwas Leichtes, Verwehendes, Atmendes bekommt. So tritt dann möglicherweise unter einem heftigen Blau, das sich während des Sehens als zu nehmend gewichtslos erweist und ohnehin die Farbe von Tiefe und Versunkenheit ist, ein signalhaftes Rot hervor, oder ein ganz in leichtem, frühlingshaftem Gelbgrün erscheinendes Bild wird zunehmend dunkler, wärmer und gleichzeitig bedrohlicher.
Der Dschungel als Landschaft der Seele? Sind es überhaupt Landschaftsansichten im herkömmlichen Sinn, die Brixy mit dem „Malaysia- Zyklus" malte? Natürlich nicht. Gemeint ist das Außen wie das Innen. Die innere Fülle, der bedrohliche Wildwuchs aus Ängsten und Kräften in der menschlichen Seele wurde dem Maler beim Anblick des äußeren Urwaldes nur immer deutlicher bewusst. Ein Bild wie ,,Tiefenrausch“ gibt die Situation des Tauchens wieder. Das reale Schnorchel-Tauchen scheint bereits einen ungeahnten Glanz zu erhalten, wenn Brixy nur über diese für ihn neue Erfahrung berichtet — unbewusst scheint er damit ein Urhandeln, einen Vorgang von fast ritueller Bedeutung für sich entdeckt zu haben. Das Hinabtauchen unter die Oberfläche, die behutsame Erkundung verborgener Zusammenhänge, gehörte das nicht schon vorher zu seinen Fähigkeiten?
Tiefenrausch, 1993, Öl auf Leinen, 120 x 180 cm
Und nun dieses Bild. Ein Blau, wie man es nur aus Träumen kennt.
Auf den ersten Blick zweifelt man daran, dass es sich langer ertragen lässt, denn auf fast schmerzende Weise wird es noch gesteigert durch Flecken in Rot/Orange. Man sollte bei diesen Flecken ein Weilchen bleiben, um dann das Blau erneut abzutasten. Dem Rot/Orange, jenen eigentlich lastenden, wenn auch vitalen Farben in der Tiefe ist stets auch ein leichteres Weiß beigegeben, in zarte Schlieren mitunter, oder ein helles Grüngelb oder Dunkelheit bis hin zu Schwarz. So viele Farben, die anfangs kaum zu erkennen waren, beginnen einen Zusammenhang herzustellen, eine Wellenbewegung des Wassers aus blitzenden Lichtreflexen und Dunkelheit.
Oder spielt sich dieses Flirren und Schwappen, diese ziellose, aber immer präziser zu erkennende Veränderung, dieser ständige Austausch womöglich in der Tiefe des Wassers ab? Auf dem Grund? Außen und innen, Tiefe und Oberfläche sind eins bei Brixy, sie sind einem ebensolchen zarten Austausch unterworfen wie die Wellenkämme, die zum Wellental werden und wieder glitzernd empor und wieder in den Schatten…
Mitten im Blau gibt es also Strukturen. Es bilden sich zwei durchsichtige Schlangenlinien wie Nabelschnüre, in denen eine Flüssigkeit pulsiert. Oder wie Tastarme von Unterwasserlebewesen Nabelschnüre? Rein evolutorisch betrachtet, entstammt auch der Mensch dem Lebensraum Wasser, was sich seinem pränatalen Stadium noch entnehmen lässt. Es ist nicht zu viel gesagt, dass Brixy tauchend, malend, Tiefen und Ursprünge auslotend bis dorthin vorstößt, bis zu den Bedingungen einer noch nicht in Körper hier und Seele da geteilten Existenz.
Dem Bild „Tiefenrausch“ lässt sich in der Mitte zwischen den beiden Nabelschnüren, die ein offenes, mandalaähnliches Oval herstellen, eine unendlich behutsam angedeutete menschliche Figur entlocken. Kopf und Arme, Brustkorb, Bauch und Beine sind das Ergebnis von dünnem Flimmern und sanften kleinen Schatten, nichts sonst.
Was ist das für ein Bild?
Selbstbildnis des Schnorcheltauchers Brixy? Sicherlich. Das Bild einer völligen Integration des Menschen in den Lebensraum Wasser? Kein Zweifel. Oder ist es die symbolische Darstellung eines Menschen, der bei der Erforschung seiner seelischen Tiefen hinabtaucht bis ins Es, bis ins Innerste seiner Person, bis zu jenem überspülten und unsichtbaren Kontinent, der alle Menschen verbindet?
Die Fragen sind falsch, denn es gibt kein Oder bei Brixy, es gibt nur Entsprechungen. Das Schwappen des Wassers ist gleichzeitig ein Austausch der Bedeutungen. Das aus der Tiefe hervordrängende Rot, das Glitzern und die Dunkelheit, sie geben nicht nur einem ungegliederten Stoff wie dem Wasser Form und Struktur, sondern auch dem ungegliederten, potentiell chaotischen Element, das der Mensch in seiner eigenen Tiefe findet. Dort leuchtet, blitzt und versinkt etwas nicht zu Benennendes ebenso wie an der Oberfläche jenes Elements Wasser, das der Mensch in seiner Geschichte und in seinem Körper trägt.
Brixy hat in Malaysia mitten in einer fremden Außenwelt eine fremde, ebenso urwald- und ur- welthafte Innenwelt erschlossen. Mehr noch: er hat seine Entdeckungen gemalt. Es sind Bilder eines reisenden Forschers.
Christel Heybrock
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Aktuelle Ausstellung in Berlin zeigt frühe Werke des Künstlers Dietmar Brixy
DIETMAR BRIXY | RETROSPEKTIVE 1991 - 2021 | MALEREI
Die Galerie Tammen präsentiert Arbeiten des Mannheimer Künstlers aus den letzten 30 Jahren. Die Ausstellung geht vom 3. Dezember 2021 bis 22. Januar 2022. MEHR
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