GESAMTKUNSTWERK UND GROSSKRAFTWERK
Im Energiefeld von Malen-Wollen und Leben-Können
von Dr. Ulrike Lorenz, ehemalige Direktorin der Kunsthalle Mannheim, aktuelle Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar, Text aus dem Katalog "DISCOVER BRIXY", 2014, S. 30-35
„Die Totalkunst stellt die Frage: ‚WAS SOLL DAS GANZE?‘ und antwortet: Es soll Kultur ermöglichen…“ Bazon Brock
Individuen handeln als Künstler, wenn aus der Einheit ihres Denkens, Wollens und Könnens eine exemplarische Vermittlung von Schöpfung und Arbeit erwächst, die Aufmerksamkeit erzwingt. Das Publikum schätzt den Künstler, der als Statthalter seiner eigenen Sehnsüchte agiert. Ein Prototyp lustvollen Begehrens im grenzüberschreitenden Energiefeld von Kunst und Leben ist Brixy: freier Maler im umhegten Paradiesgarten unter den steil aufragenden Kaminen des Großkraftwerks am Rhein in Mannheim. Ort, Werk und Mensch bedingen sich gegenseitig. Aus diesem kontextuellen Gewebe entfaltet sich ein Gesamtzusammenhang, der künstlerische Produktion und ästhetische Erfahrung in nächste Nähe rückt, wobei auf beiden Seiten Kontemplation und Exaltation in direkten Austausch treten.
1961 in einfachen Mannheimer Verhältnissen geboren, entwickelte Brixy immense kreative Kompensationsenergien aus der anachronistischen Sehnsucht nach einem mythischen Ort inmitten der greifbaren Schönheit der Natur, den er sich nach seinem inneren Bild erschuf. Im selbstverantworteten Handeln formte sich dabei während der vergangenen zwei Jahrzehnte eine erfolgreiche Künstlerbiografie. Zehn Jahre nach seinem Studium an der Kunstakademie Karlsruhe, verwirklichte Brixy in unmittelbarer Nachbarschaft zur Herkunft einen Kindheitszukunftstraum. Er erwarb 2001 das seiner Funktion beraubte Alte Pumpwerk Neckarau, baute das imposante neogotische Industriedenkmal zwei Jahre lang behutsam zu einem originären Kunst- und Lebensraum um und gestaltete eine zauberhafte Gartenlandschaft als ständigen Quell der Inspiration und des Ausgleichs. Von Kamelien, Bambus und Magnolien umwogt, entstehen seitdem in der atemberaubenden, fast unverändert belassenen Maschinenhalle des Pumpwerks die großformatigen, starkfarbigen Malereiexpressionen, die zum Markenzeichen Brixys geworden sind.
Diese Insel des Seligen, abgeschirmt vom Alltag und dennoch porös für die Welt, ist Ausgangs- wie Zielpunkt eines imponierend kraftvollen Selbstentwurfs, Resonanzraum eines selbstbewussten Anspruchs auf Geltung. Dahin kehrt der Künstler immer wieder von seinen Arbeitsreisen in exotische Länder zurück. Hierher lädt er ein wechselndes Publikum regelmäßig zu Ausstellungen seiner Bilder ein, die im industriehistoristischen Ambiente unweigerlich Installationscharakter annehmen, was die Ereignishaftigkeit der Malerei erst eigentlich zum Vorschein bringt. Der Ort bestimmt die Malerei. Die Malerei beseelt den Ort. Pathos und Energie kennzeichnen beide. Die unnachahmliche Transformationsleistung aber, das eine aus dem anderen hervorgehen zu lassen und beides in der Schwebe zu halten, erbringt der Künstler: Keine Abwässer wälzen sich mehr durch die perfekt geformten unterirdischen Kanäle des Pumpwerks, vielmehr ergießt sich ein alles verschlingender Malstrom wirbelnder Farbmassen und Formfragmente über die Oberflächen überlebensgroßer Leinwände.
Insofern kann die Malerei Brixys als ortspezifisch gelten. Indem sie beispielhaft Szenarien der Entgrenzung – von Zeit und Raum, Natur und Kultur, Ort und Malerei – repräsentiert, ist sie trotz ihres monomedialen Charakters Ausdruck einer Gesamtkunstwerkskonzeption. Brixys Konzept der Durchdringung von Leben und Malen ist von der Obsession bestimmt, ein Bild vom Ganzen und die persönliche Verkörperung des Ganzen zu realisieren. Der Maler lebt ein Exempel ganzheitlicher Existenz vor, geprägt von einem stimulierenden Sensualismus, dessen Unruhe sich auf sein Publikum überträgt. Die Bilder, entstanden im kontrollierten Rausch des Machens, zielen auf eine Aktivierung aller sensorischen Fähigkeiten zur ästhetischen Erfahrung und definieren die ästhetische Erfahrung selbst als andauernden performativen Akt, hervorgerufen von den unauflösbaren Spannungen zwischen Dargestelltem und Darstellung, Betrachter und Werk.
Discover, 2012, Öl auf Nessel, 120 x 180 cm
Brixy agiert in der Tradition des Künstler-Unternehmers seit der Renaissance, der sich in metaphorischer Analogie zum Schöpfergott immer auch als Weltschöpfer verstand: Selbstbeweger und Selbstdefinierer. Als Maler ist Brixy Herr im ästhetischen Haus. Er beherrscht das Apparateprogramm und die historischen Codes des Mediums. Dies ermöglicht ihm die erträgliche Leichtigkeit des Seins als Künstler. Seine Bilder erweisen sich als Fenster nicht auf die Welt, sondern auf andere Bilder und die Bilder Anderer. Sie entwickeln Meta-Ordnungen der Beobachtung von Malerei und Malereigeschichte. Wie Mikroskope rücken sie ausgewählte Ausschnitte in die Nähe oder Ferne, kombinieren Bruchstücke, Malmethoden, Materialien, beobachten physikalische Gesetzmäßigkeiten und mechanische Wirkungen. Schicht um Schicht stapelt Brixy Farbmaterie übereinander, legt sie partiell wieder frei, wischt und kratzt, arbeitet mit Pinseln, Spachteln, Händen, presst Feigenblätter oder Palmwedel in die pastosen Massen, hinterlässt darin mit Kämmen, Rakeln, Fingern physische Spuren.
Discover, 2014, Öl auf Nessel, 120 x 180 cm
Diese Malerei setzt den mobilen Blick voraus, der fragmentiert und filtert, reproduziert und kondensiert, der seinen Fokus variiert, immer neue Perspektiven einnimmt und sich in „metastasierender Vervielfältigung“ (Christian Janecke) multipliziert. So entstehen Bilder, die wie bewegliche Fenster sind, mit variablen Tiefenschärfen und vielfältigen Verweisen auf die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wie auf die Parallelität von Handschriften und malerischen Konditionierungen. Dabei überwindet der Maler den Gegensatz von abstrakt und figurativ und erschließt sich ein neues Feld der nicht allegorischen, sondern formalen Narration. Brixy liefert seine Beispiele der Dissemination des Visuellen in der Gegenwart aus einem Atelierparadies, das direkt an die fünf aktiven Blöcke eines Energiegroßlieferanten auf Steinkohlebasis grenzt: ein zündendes Sinnbild dafür, dass er mit seiner Malerei der Beobachtung zweiter Ordnung ziemlich präzise im Energiefeld von Gesamtkunstwerk und kultureller Produktion der Gesellschaft operiert.
------------------------------------------
Aktuelle Ausstellung in Berlin zeigt frühe Werke des Künstlers Dietmar Brixy
DIETMAR BRIXY | RETROSPEKTIVE 1991 - 2021 | MALEREI
Die Galerie Tammen präsentiert Arbeiten des Mannheimer Künstlers aus den letzten 30 Jahren. Die Ausstellung geht vom 3. Dezember 2021 bis 19. Februar 2022. MEHR
------------------------------------------