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Ausstellungsansicht Orangerie Schloss Schwetzingen
14.02.2022 - 14.02.2022

REIF UND SAFTIG

REIF UND SAFTIG

von Dr. Dietmar Schuth M.A., Museum Blau, Schwetzingen, Text aus dem Katalog "Dietmar Brixy: Ripe & Juicy", 2010.

Der Katalog erschien im Jahr 2010 aus Anlass der gleichnamigen Ausstellungen im Kunstverein Schwetzingen, in der Orangerie des Schlosses Schwetzingen und im Kunstverein Worms.

 

 

Noch heute dient die Orangerie im weltberühmten Schwetzinger Schlossgarten als Winterquartier für sonnenverwöhnte Südlandpflanzen. Das sind alle frostempfindlichen Feigen- oder Zitrusbäume, insbesondere Orangenbäume, die dieser barocken Architektur im 18. Jahrhundert ihren Namen gaben. Damals leistete sich fast jeder fette Feudalfürst in seinen Schlössern und Sommerresidenzen solchen Luxus. Das Land Arkadien wurde einfach um ein Paar Breitengrade nach Norden verrückt, dem mitteleuropäischen Klima zum Trotz. Dieser Genius Loci hat schon so manche Ausstellung des Kunstvereins Schwetzingen inspiriert und lebt nun mit der Malerei des Mannheimer Künstlers Dietmar Brixy neu auf.

 

Schon der Titel der Ausstellung, spielt auf die Location an, schafft Vorfreude auf die reifen und saftigen Früchte des Sommers, die jetzt - im Frühjahr 2010 - erst Blüte oder noch Knospe sind. Dietmar Brixy, selbst ein passionierter Gärtner und Hüter vieler Zitrusbäume, hat sich wie kaum zuvor auf dieses Projekt gefreut und es mit großer Leidenschaft vorbereitet. Schon Monate vorher kaufte er sich eine Jahreskarte für den Park und holte sich hier seine Inspirationen und Ideen, die nun in einer großen Serie neuer Bilder umgesetzt wurden. Das ist mehr als die ohnehin schon großzügigen Räume der Orangerie fassen können, so dass auch der Wormser Kunstverein in seinem eher urbanen Ambiente die Bilder Brixys aufnehmen durfte.

 

Orangerie Schloss Schwetzingen

 

Die Farbe selbst ist sein primäres Thema

 

„Reif und saftig“ sind aber nicht nur die sommerlichen Früchte, die Brixy in seiner gleichermaßen reifen und saftigen Malerei zum figurativen Thema macht. Die Farbe selbst ist sein primäres Thema, die sich in einer fast verboten schönen und sinnlichen Malerei inszeniert. Sie steht zwischen Figuration und Abstraktion und entwickelt sich in einem aufwendigen Arbeitsprozess, der hier kurz beschrieben sein mag. Zunächst legt der Maler eine erste Farbschicht an, ein buntes All-over vieler Farben, die er in der Manier des amerikanischen Action-paintings auf die Leinwand bringt. Ist diese Schicht getrocknet, kann die zweite folgen, die immer noch sehr aktionistisch, doch schon etwas kontrollierter und gestischer aufgetragen wird. Dabei wird die pastose Farbe weniger mit Pinseln als vielmehr mit Spachteln und den eigenen Händen auf der Leinwand verteilt. Die erste Schicht wird aber nicht völlig überlagert, sondern stellenweise wieder frei gekratzt und bereichert das pastose Kolorit mit tausend pointilistischen Nuancen.

 

Diese Spachteltechnik erinnert prinzipiell an die abstrakten Bilder des Gerhard Richter, die schon dessen Lehrmeister Karl Otto Götz in Schwarzweiß vorweggenommen hat. Durch das Verstreichen von mehreren Farben mit Spachtel, Besen oder Hand entstehen streifige Spuren, die in ihren helleren und dunkleren Partien wie Schattierungen anmuten und so die Illusion von Plastizität erzeugen. Eine so verstrichene Wellenlinie wirkt nicht mehr flach, sondern sie schlängelt sich - mal dicker, mal dünner - räumlich durch das Bild wie einst die Schlange durch den Garten Eden.

 

Bei Dietmar Brixy bleiben diese streifigen Schlangenlinien aber nicht abstrakt wie bei Richter oder Götz, sie werden in einer assoziativen Gestalt formuliert, sind als Flüsse oder echte Schlangen oder fliegende Drachen deutbar. Wer will, kann auch meteorologische oder geologische Formationen sehen. Die Gedanken sind frei. Hinzu kommen horizontale Passagen, die den Bildern einen Landschaftscharakter verleihen mit einem Horizont, einem Boden und einem meist hohen und offenen Himmel. Die zweidimensionale Fläche der Leinwand wird also verlassen, um dem Auge eine dritte Dimension aufzuschließen und in einen Farbraum zu bannen, dem sich kein Betrachter entziehen kann.

 

Rapture, 2011, Öl auf Nessel, 90 x 120 cm

Rapture, 2011, Öl auf Nessel, 90 x 120 cm

 

Alles in allem entsteht so eine vielschichtige, reliefhafte Oberfläche

 

In älteren Serien formte Brixy aus seinen Gesten das knorrige Astwerk von Weinreben oder Olivenbäumen und stellte diese ebenfalls vor horizontale Strukturen, die so Weingärten oder Olivenhaine evozierten. In anderen Serien waren es Ginkgobäume oder Bambusgräser, die sich in einer japanisch anmutenden Ästhetik fast ornamental formierten, so wie es ein Van Gogh oder der Jugendstil am Ende des 19. Jahrhunderts liebte. Bei der Serie „Ripe & Juicy“ sind Feigen-, Zitronen- und Orangenbäume zu erkennen, weil sie die entsprechenden Früchte und charakteristischen Blätter tragen.

 

Jene Blätter hat Dietmar Brixy zum Teil im Schwetzinger Schlossgarten gesammelt und als Abdruck auf die noch nasse Ölfarbe eingedrückt, ein Verfahren, das wir seit Max Ernst kennen. Hinzu kommen weitere Farbaufträge und Farbspritzer ins Bild, die an die Dripping-Technik erinnern, ebenfalls von Max Ernst erfunden und von Jackson Pollock bekannt gemacht. Alles in allem entsteht so eine vielschichtige, reliefhafte Oberfläche mit einer haptischen Qualität, die ein Nonplusultra an physischer wie visueller Farbigkeit präsentiert.

 

Nun zur Ikonographie, denn Brixy sucht in seinen Bildern nicht nur die Entfesselung und Bändigung seiner Gefühle, nicht nur sinnliche Sensationen, sondern auch Inhalte. 2007 erforschte der Kunstverein Schwetzingen in seiner Ausstellung „Orange- Frucht+Farbe“ Herkunft und Bedeutung der Zitrusfrüchte und fand heraus, dass Zitronen schon seit etwa 1000 Jahren im Mittelmeerraum kultiviert werden, Orangen aber erst im 16. Jahrhundert nach Europa gelangten und sich hier nur langsam verbreiteten. Diese Verspätung bedeutete für die Orange, dass sie in der überaus bedeutungsvollen Kunst des Mittelalters gar keine Symbolik entwickelte. So konnten sie gar nicht als Paradiesfrucht gedeutet werden und Apfel oder Granatapfel verdrängen, da niemand sie kannte. Auch für die frühe Stilllebenmalerei der Renaissance kam die Orange zu spät und wird erst in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts hin und wieder dargestellt.

 

Chinotto, 2010, Öl auf Nessel, 120 x 90 cm

Chinotto, 2010, Öl auf Nessel, 120 x 90 cm

 

Seine neue Serie ist sonniger als die Malerei zuvor

 

Anders verhält es sich mit der schon in der Bibel erwähnten Feige, die in der Malerei des Dietmar Brixy schon länger wächst und in seinem letzten großen Gemäldezyklus „Eden“ als erotische Paradiesfrucht eine symbolische Rolle spielte. Zitrusfrüchte hingegen sind kulturhistorisch betrachtet für solche Deutungen zu jung. Sie können allenfalls in einer modernen Betrachtungsweise als sinnlich-süße Früchte empfunden werden, die weniger durch ihre Form als vielmehr durch ihre Farbe wirken. Diese vermittelt sich als pures Sonnenlicht mit leicht exotischem Glanz, denn die Früchte stammen aus Ostasien, wo die Farben Gelb und Orange kulturhistorisch eine viel reichere Tradition und sogar spirituelle Dimension besitzen.

 

In diesem Sinne sollte man die neuen Bilder von Dietmar Brixy nicht zu sehr in einem symbolischen oder gar symbolistischen Licht betrachten. Seine neue Serie ist sonniger als die Malerei zuvor. Seine reifen und saftigen Früchte sind weniger als Symbole sondern eher als Motive zu betrachten, die der Genius Loci in das Füllhorn seiner Kunst geworfen hat. Zitrusfrüchte stehen für eine barocke Lebenskultur und -freude, die fast zufällig, so doch sehr passend, in der ebenfalls sehr barock anmutenden Malerei des Dietmar Brixy heimisch geworden sind. Zudem sind sie nicht immer in der ihr von Natur aus eigenen Farbe zu sehen, werden oft von einem expressiven Kolorit in ganz anderen Farben überstrahlt, sind manchmal nur realistische Kontur einer ganz und gar exotischen Phantasiefrucht.

 

Rapture, 2011, Öl auf Nessel, 50 x 40 cm

Rapture, 2011, Öl auf Nessel, 50 x 40 cm

 

Dietmar Brixy lebt seine Utopie im Hier und Jetzt

 

Noch phantastischer sind zwei beeindruckend große Gemälde, die speziell für die Orangerie des Schwetzinger Schlosses konzipiert wurden. Sie stehen an den beiden Stirnseiten der 60 m langen Halle, ragen wie abstrakte Michelangelofresken sechs Meter hoch auf und haben wie einst in Rom das Ende der Welt zum Thema. Hier jedoch ist jene barocke Lustbarkeit im Park gemeint, ein gemaltes Landschaftsbild, das am Ende einer perspektivisch sich verjüngenden Pergola leuchtet, auf eine sphärische Wand gemalt und durch einen dunklen Rahmen optisch entrückt, die Illusion einer märchenhaft fernen Landschaft schafft. Brixy kennt das kleine Wunder seit seiner Kindheit und hat nun die Gelegenheit genutzt, dieses Traumbild neu zu phantasieren.

 

Beide Bilder greifen die perspektivische Suggestion jener Pergola auf, doch das Raster wird in malerische Schlangenlinien aufgelöst. In der Mitte dieser atemberaubenden Malerei ist bei einem der beiden Bilder noch ein kleines Porträt der Originallandschaft zu erkennen, doch dieses spielt keine Rolle mehr. Der Weg zum Ziel, die Farben, die zum Fixpunkt führen, sind wichtiger als die Illusion einer fernen Sehnsucht. Auf das ästhetische Konzept des Malers Brixy übertragen, heißt das, dass er mit seiner Kunst nicht irgendeine Utopie anstrebt. Dietmar Brixy lebt seine Utopie im Hier und Jetzt, er lebt seine Malerei, seine Gefühle, seine Farben. Er liebt das Leben, liebt die Kunst und die Natur, liebt den Schwetzinger Schlosspark und alles Schöne dieser Welt.

 

Ausstellungsansichten: Orangerie Schloss Schwetzingen

 

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Aktuelle Ausstellung in Berlin zeigt frühe Werke des Künstlers Dietmar Brixy

 

DIETMAR BRIXY | RETROSPEKTIVE 1991 - 2021 | MALEREI

Die Galerie Tammen präsentiert Arbeiten des Mannheimer Künstlers aus den letzten 30 Jahren. Die Ausstellung geht vom 3. Dezember 2021 bis 19. Februar 2022. MEHR

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